Osterwasser holen – ein Brauch der in Hohenprießnitz neu belebt wurde

von Rolf Schulze Hohenprießnitz

 

Früher zogen die jungen Mädchen am Ostermorgen mit einem Krug zur nächsten Quelle, um dort vorsichtig Quellwasser zu schöpfen. Mit dem vollen Krug ging es nach Hause, immer darauf bedacht, nichts zu verschütten und kein Wort zu sagen, damit das kostbare Wasser nicht zum Plapperwasser gerät.

Denen, die es schafften, winkte Glück und ewige Schönheit. Dem Wissenden werden die nicht erwähnten Schwierigkeiten auf dem Weg von der Quelle bis ins Heim nicht entgangen sein: Erstens war es stockfinstere Nacht.

Man musste mit dem geschöpften Wasser nämlich vor Sonnenaufgang zurück sein.

Zur Krönung lauerten an jeder Ecke, hinter jedem Busch die jungen Männer, um den Mädchen den Heimweg zu erschweren. Hatten sie unter normalen Umständen schon so genug damit zu tun, keinen Laut von sich zu geben, kann man sich vorstellen, was man ihnen hier abverlangte.

In anderen Ecken unseres Landes musste die gleiche Aufgabe mit Einbruch der Dunkelheit am Ostersamstag bis Mitternacht erfüllt sein. Wieder andere schränkten die Zeit auf Mitternacht bis 1 Uhr ein.

Ob der Brauch nun aus heidnischer Zeit stammt oder erst später aufkam, lässt sich wohl kaum noch nachweisen. Die Gläubigen jedenfalls nahmen es mit nach Hause. Es sollte sie vor Krankheiten und Unglück schützen. Das geweihte Osterwasser entfaltet darüber hinaus Segens- und Heilkraft.

 

Auf der Suche nach schönen naturbelassenen Geländeabschnitten in Hohenprießnitz stießen die Naturfreunde immer wieder auch auf einen Bach mit der Bezeichnung „Osterwasser“. Er speist seit Jahrtausenden den so genannten Elsteich, war aber seit Jahrzehnten nicht mehr erlebbar gewesen.

Erst nach 1995 legten wir in einer Aktion den Bachlauf und sein näheres Umfeld wieder frei. Selbst viele hier Geborene wussten nichts von dem Kleinod. 1998 waren es dann die Hohenprießnitzer Heimatfreunde, die in Erfahrung brachten, dass das Osterwasser deswegen so heißt, weil aus seiner Quelle das im Ort bekannte Osterwasser geschöpft wurde.

 

Unsere Überlegung ging nun dahin: Wie lässt sich heutiges Naturerleben mit einem alten Brauch verknüpfen?

 

Das Osterwasser hat es uns leicht gemacht. Interessierte Hohenprießnitzer - meist in Familie - und weitere Gäste treffen sich am Ostermontag 10 Uhr am Ortsausgang und wandern gemeinsam bis zu den Quellen des Osterwassers.

Auf dem Weg dorthin erleben sie den Frühling pur. Die Teppiche des weißen Buschwindröschens wechseln mit den gelben des Frühlingsscharbockskrautes.

Eingestreut ragen die Sumpfdotterblumen aus dem Blütenmeer. Hasel und Erle zeigen sich in Kätzchenpracht.

Aus dem Gehölz ertönen die wunderschönen Stimmen von Singdrossel und Amsel, Meisen klingeln und vom Weidenlaubsänger vernehmen wir sein eintöniges Zilpzalp. Einem der kleinsten einheimischen Gefiederten gehört eine der lautesten Stimmen unserer Singvögel. Wir staunen über die geschmetterten Strophen des Zaunkönigs.

Ebenso erstaunlich empfinden wir den Kleiber, der nicht nur den Eingang zur Bruthöhle auf sein Körpermaß zukleistern kann, sondern nur ihm allein ist es vergönnt, den Baumstamm auch kopfüber zu bewältigen.

Der Weg führte uns den Hang hinab auf einem Grat entlang. Wir staunen schon wieder: Es ist der ehemalige Damm eines Teiches, von Menschenhand geschaffen. Er hielt das Wasser zurück, welches gebraucht wurde, um eine Schneidemühle zu betreiben.

Lang ist es her. Schon stehen wir an den Quellen des Osterwassers und erfahren, dass dieser Geländeabschnitt nach §26 des Sächsischen Naturschutzgesetzes als Biotop automatisch unter Schutz gestellt ist.

Das Wasser ist köstlich. Man kann es trinken und sich damit Waschen, was wir natürlich sofort genießen. Jetzt kommen die mitgebrachten Henkeltassen zum Einsatz: Wir schöpfen das edle Nass und füllen die Tassen bis zum Rand.

Wenn nun jemand denkt, dass es nicht besonders schwer sein kann, dies auf dem anschließenden Weg entlang des Osterwassers bis zum Elsteich - immerhin einige hundert Meter über Stock und Stein - zu transportieren, ohne dabei etwas zu verschütten oder gar dabei zu reden, der sollte unserer nächsten Einladung folgen.

Es ist jedenfalls ein erhebendes Gefühl, wenn man mit mehreren Dutzend Teilnehmern im Gänsemarsch den Bach entlanggeht und dabei nichts als pure Natur um sich hat. Ein Erlebnis ohne Gleichen. Auch Gänsehaut pur! Erst der Elsteich befreit vom Zwang des Schweigens. Noch überwiegen die Zweifel, dass dies eben möglich war.

Keiner hat Plapperwasser! Aber zu Hause haben wir es auch noch nicht. Nichts einfacher als das: Abgefüllt in kleinen Fläschchen und versehen mit einem kleinen Schildchen „Osterwasser – geholt am ...“. Davon haben wir schon einige...

 

Auf dem Weg nach Hause wird uns bewusst, was wir für unsere Gesundheit, Schönheit und unser Glück getan haben. Unser Ostermontagtermin für das kommende Jahr ist fest eingeplant. Dank eines alten Brauches!                                                                          

Auszug aus: Friedemann Steiger: Alte und junge Traditionen im Landkreis Delitzsch. 2004